Trachtenkleidung

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Tracht - kein rein bayerisches Phänomen

Wer von "Trachten" hört, denkt dabei in erster Linie an die bäuerlich inspirierte Traditionskleidung des Alpenraumes. Das zumindest haben statistische Erhebungen von Meinungsforschern und Gesellschaftswissenschaftlern ergeben. Aus mehreren unabhängigen Befragungen ging die Trachtenmode der Bayern als Favorit hervor.

Ein recht hoher Prozentsatz assoziierte mit dem Stichwort auch die Volkstracht anderer Regionen. Dabei lagen der Schwarzwald und der Spreewald im Ranking der bekanntesten Ensembles ziemlich weit vorn. Ein immer noch akzeptabler Teil der Befragten brachte den Begriff "Tracht" mit Berufs- oder Ordenskleidung in Verbindung und nannte dafür Beispiele wie die Zimmererkluft oder das Nonnenhabit.

Doch so gut wie keine/-r machte Angaben zu international vertretenen Trachten - obwohl es weltweit genug landeseigene Stereotypen gibt: Schottenröcke, Kimonos oder Sombreros sind nun wahrlich keine unbekannten Accessoires. Auch sie gehören zur großen Gruppe der Trachtenkleidung - sofern dieser Begriff seinem Ursprung nach definiert wird...

Was ist Trachtenkleidung?

Aus dem althochdeutschen übersetzt umschreibt das Wort "Tracht" alles, "was getragen wird". Das können Kleidungsstücke und Schuhe; aber auch Kopfbedeckungen, Tücher und Schmuck oder sogar Schminke und berufliche Insignien sein. Nahezu jeder Gegenstand, der das Geschlecht, den Glauben und / oder den gesellschaftlichen Rang eines Menschen markiert, taugt als Trachten-Element.

In zurückliegenden Jahrhunderten war streng geregelt, was jede/-r Einzelne tragen durfte. Kleiderordnungen waren verbindlich und konnten bei Bedarf angepasst werden, um eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu kennzeichnen oder zu stigmatisieren. Berühmt gewordene Beispiele dafür sind die pelzverbrämten Mäntel wohlhabender Renaissance-Kaufleute und die spitz zulaufenden "Judenhüte" des Hochmittelalters. Doch schon lange bevor sich solche Gepflogenheiten in Europa festigten, trugen die Menschen Trachten.

Weltweit war es üblich, Alltags-Kleidung auf die Tätigkeit und den Lebensstil ihrer Träger/-innen abzustimmen. Dabei kamen verschiedene Materialien, Schnittformen und Farben zum Einsatz. Manche Stoffe, Formen und Nuancen blieben höhergestellten Persönlichkeiten vorbehalten; andere mussten demgegenüber deutliche Zurückhaltung zeigen oder durften sich nur in ganz bestimmten Tönen zeigen.

Naturbelassene und braun oder schwarz gefärbtes Leinen dominierte die Trachtenkleidung von Handwerkern und Bauern; das Bürgertum hob sich durch importierte Stoffe ab. Wer besonders viel auf sich hielt, trug mehrere Schichten übereinander und ließ durch Schlitze oder extra weite Ärmel- und Halsöffnungen das jeweils darunter liegende Kleidungsstück sehen.

Kostbarkeiten wie Seide durften nur Herrscher nutzen. Ihre Herstellung war lange ein gut gehütetes Geheimnis des chinesischen Kaiserhofes, so dass international großes Interesse an dem Stoff herrschte. Auch Farben konnten zum buchstäblichen Reizthema werden. Gelb war in Europa verpönt, weil es als deutlich sichtbares Zeichen der Prostitution galt.

Trachtenkleidung rund um die Welt

Indien: Der Sari

In den Staaten des Nahen Ostens war Seide auch der Mittelschicht zugänglich, so dass viel mehr Menschen von ihren herausragenden Eigenschaften profitieren konnten. Da Gelb und Orange als Farben des Lichts und der Götter galten, durften sie bedenkenlos zum "Tragen gebracht" werden. Um den federleichten Stoff zu schonen, wurde er weder genäht noch geknotet - sondern in kunstvoll drapierten Lagen um den Körper geschlungen. Heute ist diese Art sich zu kleiden vor allem als indischer Sari bekannt. Doch auch in anderen Ländern kommt die traditionelle Wickeltechnik zum Einsatz und ergibt ein Obergewand gleichen Namens.

Durch den verwendeten Stoff wirkt es temperaturausgleichend, feuchtigkeitsabsorbierend und geruchsneutralisierend. Ein original indischer Sari ist ausgebreitet fünf bis sechs, mitunter auch etwa neun Meter lang und wird mit einer eng anliegenden Bluse und einem langen leichten Rock kombiniert. Der Tradition folgend tragen nur vermögende Frauen ein Seiden-Exemplar; alle anderen hüllen sich in preiswerteren Baumwoll-Stoff oder modernes Kunstfaser-Gemisch. Aus Anlass ihrer eigenen Hochzeit oder eines sonstigen hohen Festes greifen aber auch Angehörige der Unterschicht zu Seiden-Saris.

Schottland: Der Kilt

Ein solch schichtenübergreifendes Handling kommt beim Schottenrock nicht in Frage. Bis heute besteht eine strenge Reglementierung, wer das Kleidungsstück überhaupt tragen darf und welches Muster es aufzuweisen hat. Anders als vielfach verbreitet handelt es sich bei den typischen Karos nicht um Clan-Zeichen, sondern um regionale Designs. Je nachdem, aus welcher Gegend der Kilt stammt, sind die Linien schmaler oder breiter; einfach, doppelt oder dreifach angeordnet und kräftiger oder weniger kräftig gefärbt.

Doch während die Intensität der Töne früher vom Vermögen des Schottenrock-Besitzers zeugte, ist sie heute Geschmackssache. Ebenso wie die Wahl des Materials und des Zubehörs. Es gibt Kilts aus leichtem Stoff und richtig "schwere Ware" nach guter alter Tradition. Dazu gehören normalerweise ein weißes Hemd und eine dunkle Jacke sowie ein Barrett, ein Paar Kniestrümpfe und eine Weste in der Farbe des Rocks. Im Gegensatz zum Sari wird der Kilt von beiden Geschlechtern getragen - wobei die weibliche Variante etwas mehr Spielraum in der Länge bzw. Kürze hat. Der Saum von Frauen-Röcken (Kilt Skirts) darf auch deutlich unter oder über dem Knie enden.

Spanien: Flamenco Kleider

Dass Trachten auch alles andere als strenge Arbeitskleidung sein können, beweist sich beim Flamenco. Die Garderobe der Tänzer/-innen ist wie die Musik, zu der sie sich bewegen: heiß! Während Frauen unter hoch aufschwingenden Röcken viel Bein sehen lassen, betonen Männer ihren Oberkörper durch weite Hemden. Beide tanzen unabhängig voneinander und legen viel Temperament in ihre Gesten, die durch rhythmisches Stampfen zusätzlich unterstrichen werden.

Trotz der autarken Aufführung ist beim Flamenco-Tanz ein klassisches Rollenbild zu erkennen: Jede Bewegung der Frau ist weich und fließend; die des Mannes eher eckig. Dabei sind nicht nur die Füße im Einsatz, sondern der ganze Körper. Doch das Land, in dem diese Tradition verwurzelt ist, ist nicht alleiniger Urheber des Tanzes. Als Seefahrer-Nation haben die Spanier im Flamenco alles vereint, was ihnen auf ihren Wegen übers Meer begegnet ist. In den Klängen und Bewegungen des Flamencos finden sich Elemente aus zahlreichen anderen Kulturen wieder. So gesehen ist die Kleidung der Tänzer/-innen eine Volkstracht im doppelten Sinne: zum einen die ihrer Heimat; zum anderen die aller mitwirkender Nationen.

Trachtenmode in Deutschland

Im Prinzip ist ein solches Vermengen nicht ungewöhnlich. Zwar zeigt es sich nicht überall so offensichtlich wie beim Flamenco - doch selbst die international bekannte Bayern-Tracht ist kein urtümlich gebliebenes Ensemble. Wie auch, wo die Traditionskleidung eine so bewegte Geschichte hinter sich hat? Aus dem ehemaligen Arbeitsgewand der namensgebenden Dirndl haben sich zahlreiche Varietäten entwickelt, die ihrerseits wieder abgewandelt wurden und eine Fülle regionaler Unterschiede begünstigten.

Nicht immer springen die Abweichungen so ins Auge wie bei den Beispiel-Trachten aus aller Welt. Indische und spanische Traditionskleidung sind leicht auseinander zu halten und sicherlich können auch Ungeübte zwischen Räderhaube und Bollenhut unterscheiden. Doch eine genaue Verortung fällt selbst bei markanten Trachten-Elementen schwer. So ist das rassige Flamenco-Kleid lediglich in Andalusien anzutreffen und die weltbekannten "roten Klöße" werden nur in einem relativ kleinen Teil des Schwarzwaldes getragen.

Wie ergeht es Laien dann erst beim Vergleich von Badischer und Württembergischer Tracht? Oder noch besser: Wenn sie einzelne Modelle der Trachtenmode unterschiedlicher Bayern-Regionen zuordnen sollen? Schließlich führen die Herren hier wie da Lederhosen aus und die Damen schlingen gelegentlich nur das Tüchlein anders.

Tatsächlich fällt das Auseinanderhalten deutscher Trachtenbekleidung sogar Fachleuten schwer, denn manche Regional-Ensembles weichen nur geringfügig voneinander ab oder unterscheiden sich lediglich durch ein einzelnes Accessoire. Hinzu kommt, das die Tracht ein und desselben Gebietes Alltags- und Festversionen haben kann. Details wie diese erläutert das Trachteninformationszentrum. Hier erfahren Interessierte alles, was sie über Trachten wissen möchten und wie landestypisch die jeweils vorgestellte Kleidung ist.

Bayerische Tracht: Symbol für Tradition und Heimatliebe

Doch warum ist das so wichtig? Sind Trachten in Zeiten schnelllebiger Mode nicht längst überholt oder gar spießig und "out"? Keinesfalls! Trachtenkleidung erlebt seit einigen Jahren eine bemerkenswerte Renaissance. Neben Stammgästen des Oktoberfestes bzw. der Cannstatter Wasn haben auch viele junge Leute ihre Liebe zu traditionellen Ensembles entdeckt.

Sie tragen die ehemalige Arbeitskleidung mit Stolz, denn sie ist Ausdruck eines neu entdeckten Heimatgefühls. Anders als noch eine Generation zuvor bleiben Heranwachsende heute lieber "im Lande". Die Erkundung der nächsten Umgebung und regionale Produkte reizen sie mehr als fremde Städte und exotische Genüsse. Trachtenbekleidung oder Kleidung im Trachtenstil ist Teil dieser wiederentdeckten Sesshaftigkeit.

Dieser Boom ist nicht nur in ländlichen Gegenden zu beobachten. Auch Großstädter entdecken Trachtenmode für sich - und zwar überall. Bayern liegt dabei zwar immer noch ganz vorn; aber auch andere Gegenden verzeichnen zunehmendes Interesse. In kultur-historischen Zentren wie dem Spreewald wird Traditionspflege besonders groß geschrieben. Hier tragen Kinder und Erwachsene die typischen Ensembles auch im Alltag - inklusive der sperrigen, kunstvoll gefalteten Haube.

Andererseits variieren Designer herkömmliche Trachten immer wieder. Jahr für Jahr können Interessent/-innen aus neuen Kreationen wählen - ganz gleich, wie landestypisch ihre Vorliebe ist. Der Hang zur Modernisierung betrifft sowohl klassische Dirndl und Lederhosen als auch internationale Trachten-Elemente.

Mit einiger Sicherheit haben diese zeitgemäßen Variationen zur Renaissance der Volkstrachten beigetragen - obwohl (oder gerade WEIL) die Kleidung dadurch von überlieferten Traditionen abweicht.